Artikel 4

Artikel 4

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Aktuelle Kommentare
  • Liberal-Islamischer Bund

    Die Glaubensfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz gilt als eines derjenigen Grundrechte, das am stärksten als Ausfluss der Menschenwürdegarantie zu betrachten ist. Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich? Dies sind grundlegende Fragen der menschlichen Existenz, die den Menschen seit jeher beschäftigen und für ihn von zentraler Bedeutung sind für sein Leben. Der Glauben gibt dem gläubigen Menschen in dieser Welt Orientierung und kann sein gesamtes Leben bestimmen.


    Es ist ein Akt von Klugheit und Weisheit, dass das deutsche Religionsverfassungsrecht sich in seiner Rechtstradition für das Modell einer offenen und übergreifenden religiös-weltanschaulichen Neutralität entschieden hat. Das Bundesverfassungsgericht umschreibt es wie folgt: „Der ‚ethische Standard‘ des Grundgesetzes ist … die Offenheit gegenüber dem Pluralismus weltanschaulich-religiöser Anschauungen angesichts eines Menschenbildes, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung bestimmt ist. In dieser Offenheit bewährt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität“ (1 BvR 63/68). „Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist … nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen“ (2 BvR 1436/02). Dieses Modell gilt es zu verteidigen. Denn es definiert Neutralität sehr logisch stringent. Ein laizistischer Staat, der Religionen aus dem öffentlichen Raum verbannen will, ist gerade nicht neutral, da er Partei ergreift zugunsten von Areligiosität und sich von Religionen distanziert. Unser Staat ist „säkular, aber nicht säkularistisch“ (Hans-Michael Heinig). Zudem genügt ein Blick nach Frankreich, um deutlich zu erkennen, dass der Laizismus keines der Integrationsprobleme hat lösen können – im Gegenteil sind sie dort sogar sehr viel größer als in Deutschland. Die Verbannung von Religionen aus dem öffentlichen Bereich befördert nur die Schaffung von Parallelgesellschaften. Zu oft wird übersehen, dass Religionen, die sichtbar sind und sich im öffentlichen Raum bewegen, dadurch auch einer gewissen gesellschaftlichen/öffentlichen Kontrolle unterliegen. 


    Außerdem können Religionen nach dem offenen und übergreifenden Modell als eine potentiell gesellschaftsstabilisierende Ressource genutzt werden. „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“, stellte der Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde zutreffend in seinem berühmten Diktum fest. Das heißt, der freiheitliche Staat ist darauf angewiesen, dass in der Bevölkerung ein die Werte des Staates tragendes Ethos herrscht. Denn wenn er all seine Ziele mit den Mitteln des Zwangs durchsetzen müsste, würde er aufhören, ein freiheitlicher Staat zu sein. Religionen können neben anderen gesellschaftlichen Gruppen einen Beitrag zur ethischen Wertebildung leisten. So ist etwa der oberste Wert unserer Verfassungsordnung, die Menschenwürde, einer, der sowohl von säkularen als auch von religiösen Begründungssträngen lebt. Christen würden mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen argumentieren (Gen. 1, 27; Eph. 4, 24). Auch der Islam kann einen Beitrag zur Stützung und Förderung des obersten Wertes unseres Gemeinwesens leisten und sich in die Vielfalt an Begründungssträngen einreihen. So heißt es in Sure 17:70: „Nun haben Wir tatsächlich den Kindern Adams Würde verliehen … und sie weit über das meiste Unserer Schöpfung begünstigt.“ In der koranischen Schöpfungsgeschichte sollen die Engel sich vor Adam niederwerfen, nachdem Gott diesen geformt und ihm von Seinem Geist eingehaucht hat, um so zu bezeugen, dass sie die Würde des Menschen achten (Sure 38:71 ff.; vgl. 7:11 ff.; 2:34). Dieser „göttliche Funke“ in jedem Menschen begründet seine Menschenwürde – unabhängig von Glauben, Herkunft, Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung usw.


    Es besteht im Islam also sehr viel bisher ungenutztes konstruktives Potential an ethischer Prägekraft, das für unsere Gesellschaft fruchtbar gemacht werden kann. An den verschiedenen universitären Zentren für islamische Theologie in Deutschland erkennen wir jetzt schon erste gute Ansätze einer menschenfreundlichen Theologie, die eine wichtige Rolle dabei spielen werden, v.a. jungen Muslimen eine alternative Lesart zu menschenfeindlichen extremistischen Lesarten zu bieten und diese zurückzudrängen. Dass es solche Lehrstühle für islamische Theologie überhaupt geben kann, ist der offenen und übergreifenden Neutralität des Grundgesetzes zu verdanken, deren tragende Säule Artikel 4 Grundgesetz ist.


    Ass. iur. Waqar Tariq - Berater des Bundesvorstandes des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) und Koordinator der LIB-Gemeinde Frankfurt a.M.

  • Prof. Dr. Erdal Toprakyaran

    Das Grundgesetz garantiert die Freiheit des 

    religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Das ist großartig! 

    Denn ohne die Neutralität bzw. Säkularität des Staates in Fragen der Religion und Weltanschauung wäre ein friedliches Miteinander langfristig nicht möglich. Auch motiviert der säkulare Staat uns gläubige Menschen dazu, nicht nach einem quantitativen, sondern einem qualitativen Religionsverständnis zu streben.


    Prof. Dr. Erdal Toprakyaran - Professor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur am Zentrum für Islamische Theologie der Eberhard Karls Universität Tübingen


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